Rückblick
Bereits 1993 gibt der damalige DFB Vize-Präsident Mayer-Vorfelder die deutsche Bewerbung für die WM 2006 ab. Um diese Bewerbung zu betreuen wird 1997 ein Komitee gebildet. In diesem Komitee vertreten sind Franz Beckenbauer (als WM-Botschafter für Deutschland), Wolfgang Niersbach (damals DFB-Pressesprecher), Egidius Braun (damals DFB-Präsident), Horst Schmidt (damals DFB-Generalsekretär), Gerhard Mayer-Vorfelder (damals Vize-Präsident).
Im Jahre 1998 prognostiziert die Universität Paderborn in einem Gutachten ein volkswirtschaftliches Umsatzplus in Milliardenhöhe im Falle einer WM in Deutschland. Die wirtschaftliche Legitimierung ist nun gegeben. Jetzt werden Verbündete gesucht. Daraufhin beschließen Braun und Mayer-Vorfelder zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder das „Bündnis für Fußball“, um alles Notwendige für die Kandidatur vorzubereiten.
Andere Bewerber für die WM 2006 sind England, Brasilien, Südafrika, Ägypten, Marokko, Nigeria und Ghana. Im Jahr 1999 kommt Bewegung in die Sache. Die FIFA fordert von allen Bewerbern eine Garantie auf Steuerbefreiung im Falle einer WM in ihrem Land. Ägypten, Nigeria und Ghana ziehen ihre Kandidatur zurück. Deutschlands damaliger Innenminister Schily stellt der FIFA eine Befreiung von der Ertragssteuer in Aussicht. Die Förderung für den Fußball betreibt man in Deutschland trotz damalig laufenden Sparpaketes, Hartz 4 und anderer Reformen weiterhin kräftig. Leipzig und Berlin bekommen Zuschüsse von jeweils 100 Millionen Mark, um die jeweiligen Stadien zu sanieren und zu modernisieren. [3] Man ist an einem Punkt angelangt, an dem man den Zuschlag erhalten muss. Auch damalige Politiker haben hoch gepokert.
Andere Bewerber treten nun Ihre Absichten ab. In Südafrika belasten mehrere Korruptionsskandale den Verband und werfen ein schlechtes Licht auf die Kandidatur. Beckenbauer, mittlerweile Präsident des Komitees für die Deutsche Bewerbung, bietet Südafrika Hilfe für eine Kandidatur für die WM 2010 an, wenn sie von Ihrer Bewerbung 2006 absehen. Doch Südafrika bleibt dabei. Die Südafrikaner einigen sich mit Brasilien. Die Brasilianer ziehen ihre Bewerbung zurück und stimmen bei der Wahl für Südafrika. Im Gegenzug sichert sich Brasilien die Stimmen der Afrikaner in der Wahl um die nächste WM 2010.
Den Ausrichter der WM wählt das FIFA-Exekutivkomitee. Dieses setzt sich aus Vertretern der Kontinentalverbände und dem FIFA-Präsidenten zusammen. Die UEFA stellt 8 Mitglieder, der afrikanische Verband CAF und der Asiatische Verband AFC jeweils 4, der südamerikanische Verband CONMEBOL und der Nord- und Zentralamerika/Karibik-Verband CONCACAF jeweils 3 und zu guter Letzt der Ozeanische Fußballverband 1 Mitglied. Insgesamt gibt es also 24 Stimmen.
06. Juli 2000
Im Juni 2000 kommt es zur Abstimmung. Deutschland gewinnt knapp gegen Südafrika. England und Marokko scheiden in Vorabstimmungen aus. Ausschlaggebender Punkt ist eine Enthaltung vom Vertreter aus Ozeanien, Charles Dempsey, der somit das Stimmenverhältnis 12:11 für Deutschland entscheidet. Die Stimmenverteilung in dieser Wahl ist mutmaßlich schon vorher festgelegt wurden. Für Deutschland stimmten angeblich alle 8 UEFA-Vertreter sowie die 4 Asiatischen Vertreter, also Summa summarum 12 Stimmen. Für Südafrika wird gemutmaßt, stimmten die 4 afrikanischen, die 3 Nord- und Zentralamerikanischen/Karibik-Vertreter, die 3 südamerikanischen Vertreter und der FIFA-Präsident Sepp Blatter, also in der Summe 11 Stimmen. Dazu sollte die Stimme von Ozeanien in Form vom Neuseeländer Dempsey kommen. Dieser wiedersetzte sich den Weisungen seines Verbandes. Hätte er für Südafrika gestimmt, stünde es 12:12 und der damalige FIFA-Präsident Blatter hätte per Stichwahl entschieden. Und dieser hätte für Südafrika gestimmt. Dempsey verließ den Abstimmungsort und meinte im Nachgang, es gäbe Getuschel bei Kollegen, er hätte Geld aus Südafrika angenommen. Dem wollte er mit einer Enthaltung begegnen. [4]
Doch so ehrbar der Neuseeländer war, desto korrumpierter waren die anderen Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees. In der gesamten Bestandszeit des Komitees kam es immer wieder zu nachweislichen Korruptionsvorfällen im Zusammenhang mit den wechselnden Mitgliedern. [5] Und auch bei der WM Vergabe 2006 sollen Schmiergelder geflossen sein. Und zwar von niemand geringerem, als dem Organisationskomitee der deutschen Bewerbung. Konkret geht es um die Bestechung der asiatischen Delegation. Drei Namen stehen dabei besonders im Mittelpunkt — Franz Beckenbauer, Mohamed Bin Hamman und Robert Louis Dreyfuss. Beckenbauer war Präsident des Organisationskomitees der WM 2006, Bin Hamman Mitglied des ASF (Asiatischer Verband) und beim FIFA Exekutivkomitee und stimmte somit direkt über die WM in Deutschland ab. Dreyfuss war Chef beim Firmenriesen Adidas, damals Ausrüster der DFB-Elf. Eine Reihe komplizierter Geldflüsse über Schweizer Konten spülten im Jahr 2002 sechs Millionen Schweizer Franken auf das Konto einer Firma in Katar. Besitzer dieser Firma war Bin Hamman. Ursprünglich kam das Geld von Konten, welche unter Beckenbauers Namen und dem seines Managers liefen. Dreyfuss überwies dann im August desselben Jahres 10 Millionen CHF auf ein Konto. Von diesem Konto flossen im September 6 Millionen Franken zurück zu Beckenbauer. Die restlichen 4 Millionen Franken gingen auf das Konto der Firma aus dem Katar.
Beckenbauer hatte seine Gelder wieder. Heute schweigt er zu den Vorfällen. Sein Manager ist inzwischen, ebenso wie Dreyfuss, verstorben. Bin Hamman wurde mittlerweile auf Lebenszeit von der FIFA für jede Funktion im Fußball gesperrt. [6] Die weiteren Geldflüsse der erhaltenen 10 Millionen Franken sind nicht zu verfolgen. Man kann jedoch vermuten, dass die 4 weiteren asiatischen Delegierten damit bestochen und ihre Stimmen gekauft wurden.
Dreyfuss stellte diese ungeheure Summe natürlich nicht umsonst zur Verfügung. Der DFB war ihm nun etwas schuldig. Es muss wohl ein Schuldschein existieren, auf dem handschriftlich vermerkt ist „vereinbartes Honorar für RLD“. 2005 wurde Dreyfuss das Geld zurückerstattet. 6,7 Millionen Euro flossen deklariert als Kulturbeitrag auf das Konto von Dreyfuss. [7] 6,7 Millionen Euro, die eigentlich gemeinnützig gebunden sein müssen, denn der DFB ist ein gemeinnütziger Verein. Der größte der Welt wohlbemerkt. Käme raus, dass die 6,7 Millionen Euro als Bestechungsgeld geflossen sind, dann können die hiesigen Steuerbehörden dem DFB die Gemeinnützigkeit über einen längeren Zeitraum rückwirkend aberkennen. Dies würde Nachzahlungen in beachtlicher Höhe nach sich ziehen, die dem deutschen Fußball einen schmerzhaften und ernsthaften Schaden zufügen würden.
Aufklärung? Fehlanzeige!
In der Aufklärung der Korruptionsaffäre beauftragte der DFB eine Anwaltskanzlei namens „Freshfields“. Ein Gutachten besagt, dass es keine Korruption gegeben habe, es sei jedoch nicht auszuschließen, dass Bestechungsgelder geflossen seien. Dieses nichts aussagende Gutachten kostete den DFB mehrere Millionen Euro. Man versuchte folglich nur, den eigenen Namen wiederherzustellen und ins rechte Licht zu rücken.
Dabei liegen die Fehler im Organisationskomitee für die WM 2006. Beckenbauer als Präsident leitete die Geldflüsse ein. Von Niersbach stammt anscheinend die handschriftliche Notiz auf dem Schuldschein für Dreyfuss. Später behauptet er, von allem nichts gewusst zu haben. Im Nachgang revidierte er das auf den Zeitraum vor 2005. Zwanziger unterschrieb als DFB Präsident 2006 die Steuererklärung des Verbandes für den Zeitraum, als Dreyfuss ausgezahlt wurde. Irgendwo hat jeder eine Aktie an der Schmiergeldaffäre, zugeben will es aber keiner und zeigt mit dem Finger auf andere.
Selbst 17 Jahre nach der gekauften Wahl sind die alten Praktiken immer noch in der DFB-Spitze zu spüren. Im Mai dieses Jahres stimmte der jetzige Präsident des DFB Reinhard Grindel für eine Neubesetzung des Ethikrates bei der FIFA. [8] Die früheren beiden Chef Ethiker des nun abgesetzten Ethikrates waren federführend in der Aufklärung des „Sommermärchenskandals“. Das ist auf jeden Fall ein Fingerzeig in die Richtung, in die man an der Spitze des DFB gehen möchte. Vertuschung statt lückenlose Aufklärung scheint die Devise zu sein.
In anderen Ländern ist der Kampf gegen mafiöse Strukturen höchst ehrenhaft — In Deutschland aber anscheinend nicht!
Die Mafia — Sagenumwoben, gefürchtet, brutal, aber irgendwie doch sozial den einfachen Leuten gegenüber. In ihrer ursprünglichen Form war sie eine Art Paralleljustiz im italienischen Sizilien des späten 19. Jahrhunderts. Der Don eines Clans sorgte mit seinen Männern für Ordnung, bestahl die Reichen und rebellierte gegen die Regierung in Rom, welche nichts für die Landbevölkerung tat. Im Laufe der Geschichte driftete sie jedoch immer weiter in kriminelle Strukturen ab. Während Hollywood davon ein romantisches Bild im Stil von „Goodfellas“ oder „Der Pate“ zeichnet, ist die Realität oft anders. Gangster fahren nicht mehr in dicken Autos durch die Gegend und beschießen sich gegenseitig. Nein, heute wird hinter den Kulissen das große Geld gemacht. Bestechungen, Schweizer Konten und undefinierbare Geldflüsse bestimmen das Bild. Dass solche Sachen in Deutschland passieren, davon geht man eher weniger, zumindest nicht sofort, aus. Dabei passierte das im großen Stile direkt vor unserer Nase, wenn auch im Verborgenen. Und währenddessen feierte ganz Deutschland, schminkte sich, betrank sich, sang zusammen im Chor und freute sich fahnenschwenkend über das größte Sportevent der Welt. Die Rede ist vom „Sommermärchen“, der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.
Der Verdacht
9.April 2017 — Der ehemalige DFB Präsident Theo Zwanziger erhebt erneut in der Öffentlichkeit Vorwürfe und Anschuldigungen, dass der Zuspruch für die WM im eigenen Land mit unlauteren Mitteln erworben wurde. [1]
Amerikanische und Schweizer Ermittlungsbehörden haben in den Jahren davor die FIFA, die Spitze des Weltfußballs, schon länger im Blick. In ihren Ermittlungen keimt der Verdacht auf, die Machenschaften der FIFA fallen unter den sogenannten RICO Act (Racketeer and Corrupt Influenced Organisation). Dieser Straftatbestand wurde in der Vergangenheit gebildet, um die Aktivitäten der „Cosa Nostra“, der italienischen Mafia in den USA, zu bekämpfen. Heute betrachten die Strafverfolgungsbehörden der USA die FIFA als korrupte Organisation im Sinne des RICO Act.[2] Undurchsichtige Deals bei der Vergabe der WM an Russland 2018 und Katar 2022 legten den Verdacht nahe, bei der vorangegangen WM-Vergabe 2006 wurde nicht ehrlich gearbeitet. Und da kommt der DFB ins Spiel. DFB-Funktionäre bekleiden auch in der FIFA hohe Ämter. Und Methoden die außerhalb des legalen und moralisch vertretbaren Rahmens liegen, die färben eben auch ab.
Prinzipiell ist in diesem gesamten Prozess und im Zuge der Ermittlungen nichts erwiesen. In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung, doch die Logik und das gesunde Empfinden eines Menschen lassen einfach den Verdacht aufkommen, dass irgendetwas faul ist. Öffentlichen Anschuldigungen folgen Schlammschlachten in den Medien, es wird zurückgerudert, revidiert, geschwiegen oder nur ein kleiner Teil zugegeben.